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"Heiratet ihr alle so jung?" 3 Fragen an einen Deutsch-Roma

  • Veröffentlicht: 31.03.2021
  • 21:00 Uhr
  • Carina Neumann-Mahlkau

Viele begegnen den Sinti und Roma mit Vorurteilen. Dabei teilen einige der berühmtesten Künstlerinnen und Künstler unserer Zeit ihre Wurzeln - und du benutzt öfter ihre Sprache als du denkst. Im Clip stellen wir einem Deutsch-Roma 3 direkte Fragen.

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Wer sind die Sinti und Roma?

  • Rund 14 Millionen Sinti und Roma leben in Europa. Sie sind damit die größte ethnische Minderheit auf unserem Kontinent. Zum Vergleich: In Belgien, Griechenland, Tschechien oder Portugal leben weniger Menschen. Etwa 70.000 Sinti und Roma haben einen deutschen Pass.

  • "Sinti" bezeichnet jene Menschen, die seit dem Mittelalter in Mitteleuropa beheimatet sind. Also auch in Deutschland. "Roma" haben eine süd- oder osteuropäische Herkunft.

  • Die Wörter "Sinti" und "Roma" bezeichnet Gruppen und zugleich männliche Pluralformen. Die männlichen Singularformen lauten "Sinto" bzw. "Rom", die weiblichen "Sintiza" (oder "Sinteza") bzw. "Romni".

  • Sinti und Roma sprechen die Sprache Romanes. Da sich über die Jahrhunderte sprachliche Unterschiede gebildet haben, nennt man die Sprache der Sinti auch Sintitikes, die Sprache der Roma auch Romani.

  • Bis heute ist die Sprache kaum verschriftlicht. Sie wird traditionell nur gesprochen und von Generation zu Generation weitergegeben. Dadurch schützen sie sich auch: Die Sinti und Roma erkennen an der Sprache, wer gleichgesinnt und vertrauenswürdig ist.

  • Sinti und Roma haben keine eigene Religion, sondern gehören verschiedenen Glaubensrichtungen an - etwa dem (orthodoxen) Christentum, dem Islam oder verschiedenen Freikirchen.

  • Entgegen dem gängigen Klischee des "Wandervolkes" sind 95 Prozent der in Europa lebenden Sinti und Roma sesshaft. Ihr nomadischer Lebensstil ist nicht freiwillig: Sie werden bis heute vertrieben. Mehr dazu weiter unten.

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Schon gewusst? Das sind die 4 Minderheiten in Deutschland

Die Geschichte der Sinti und Roma

💬 Lange Zeit wusste niemand, woher die Sinti und Roma eigentlich kamen. Erst im 18. Jahrhundert bemerkte ein Sprachforscher die starke Ähnlichkeit des Romanes zur indischen Sprache Sanskrit.

🌍 Tatsächlich stammen die Sinti und Roma ursprünglich aus Nord-West-Indien. Vor circa 1.000 Jahren flohen sie vor Sklaverei und Unterdrückung und zogen gen Europa.

🎶 In alten Berichten werden die Sinti und Roma oft als Handwerker, Schmiede, Händler, Musiker, Akrobaten, Magier und Heiler beschrieben.

🧐 Ihre Sprache und ihr Aussehen waren im mittelalterlichen Europa fremdartig - die Menschen misstrauten ihnen. Durch ihre Wagen-Karawanen wurden sie als Nomaden-Volk verkannt.

🏕️ Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie immer wieder vertrieben, (vor allem in Ost-Europa) versklavt, in Mitteleuropa zu "Vogelfreien", also Rechtslosen, erklärt.

🇿 Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma verfolgt und in Konzentrationslager deportiert. Die Nazis sahen sie als niedere Menschen an und tätowierten ihnen ein "Z" für das Wort Zigeuner in die Haut.

😥 Sie sterilisierten sie und führten grausame Experimente mit ihnen durch. Zwischen 250.000 und 1,5 Millionen starben in dieser Zeit.

😔 Bis heute kämpfen die Sinti und Roma gegen Diskriminierung und Abschiebung - und infolgedessen mit Armut. Mehr dazu weiter unten.

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Die Wanderungen der Sinti und Roma

Das ist Antiziganismus

Das Wort "Antiziganismus" beschreibt eine bestimmte Form von Rassismus gegenüber Sinti und Roma. Noch immer ist er in Europa und auch in Deutschland weit verbreitet: Laut einer Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung 2020 wollen 45 Prozent der Deutschen keine Sinti und Roma als Nachbarn haben. 54 Prozent hegen das Vorurteil, dass die Ethnie einen Hang zur Kriminalität hat.

Viele machen sich darüber lustig, dass Wörter wie "Zigeuner-Schnitzel" oder "Zigeuner-Sauce" umbenannt werden. Dabei ist nur wenigen die schmerzhafte Geschichte hinter dem Begriff bewusst.
Viele machen sich darüber lustig, dass Wörter wie "Zigeuner-Schnitzel" oder "Zigeuner-Sauce" umbenannt werden. Dabei ist nur wenigen die schmerzhafte Geschichte hinter dem Begriff bewusst.© Getty Images

Das Wort Zigeuner verschwindet immer mehr aus dem Sprachgebrauch, denn es ist mit einem rassistischen und diskriminierenden Menschenbild verknüpft. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma schreibt hierzu:

"Ab dem 16. Jahrhundert setzte sich in Deutschland die (irrige) Auffassung durch, 'Zigeuner' sei abgeleitet von 'Ziehgauner'. Auch in einem der ersten Lexikonartikel zum Stichwort 'Zigeuner', 1848 im Brockhaus erschienen, wird dieser Zusammenhang explizit hergestellt. Dort findet man die ganze Palette negativer Stereotypen über unsere Minderheit aufgelistet, bis hin zu der Behauptung, 'Zigeuner' würden Kinder stehlen. Noch in der 2. Auflage des Dudens sinn- und sachverwandter Wörter aus dem Jahr 1986 wird unter dem Stichwort 'Zigeuner' auf die Begriffe 'Abschaum' und 'Vagabund' verwiesen."

Hier erfährst du, was du gegen Hate Speech und Rassismus im Alltag tun kannst.

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Musik, Comedy und Fußball: Berühmte Sinti und Roma

🎤 Rapper Sido: "Ich bin ein Sinti von Kopf bis Fuß. Immer wenn ich diese Trommeln höre, kocht mein Blut" rappt Sido in seinem Song "Geuner". Sein Vater ist Deutscher, seine Mutter Sinteza.

🎷 Django Reinhard: Der begnadete Jazz-Pionier und Komponist lebte mit seiner Sinti-Familie zunächst in Nizza, Italien, Korsika und Nordafrika, bevor er in einer Wohnwagen-Siedlung am Pariser Stadtrand aufwuchs.

🎼 Marianne Rosenberg: Die Sängerin (unter anderem "Er gehört zu mir wie mein Name an der Tür") ist die Tochter von Otto Rosenberg - einem Sinto, der von den Nazis verfolgt wurde und nicht nur Ausschwitz, sondern auch die Lager Buchenwald, Dora und Bergen-Belsen überlebte.

🎵 Drafi Deutscher: Der Sänger des Hits "Marmor, Stein und Eisen bricht" stammt aus einer Berliner Roma-Familie.

👨🏻‍🎤 Ron Wood: Der Gitarrist der Rolling Stones sagte einst in einem "The Guardian"-Interview: Alle seine Vorfahren seien seit dem 18. Jahrhundert hart arbeitende "Gypsies" gewesen.

Jesús Navas: Der Fußball-Spieler des FC Sevilla gehört der Volksgruppe der Kalé an: Einer iberischen Roma-Gruppe, in Spanien auch "Gitano" genannt.

🤡 Charlie Chaplin: Offiziell heißt es, der große Komiker ist gebürtiger Londoner. Nach seinem Tod fand man jedoch Hinweise darauf, dass der Sohn einer Künstler-Familie im Wohnwagen einer Roma-Gemeinde nahe Birmingham zur Welt kam. Belegt ist das bis heute aber nicht.

Diese Einflüsse haben Sinti und Roma auf unsere Kultur

👢 "Boho-Style": Wallendes Haar mit Bandanas, bunter Schmuck, lange Röcke, weite Hosen und Hemden, Lederstiefel - vieles des modischen Hippie-Stils geht auf den Look der Sinti und Roma zurück.

💃 Flamenco: Der spanische Tanz ist stark geprägt von den Sinti und Roma, die ab dem 15. Jahrhundert nach Südspanien einwanderten. Viele Flamenco-Künstler haben noch heute Wurzeln in der Kultur der Sinti und Roma.

🎤 "Chabos wissen wer der Babo ist" - spätestens seit dem Song von Haftbefehl haben sich die Wörter "Chabo" ("Junge"), "Chaia" ("Mädchen"), "latscho" ("gut"), "Babo" (Chef) und Co. in der deutschen Jugendsprache etabliert. Viele davon stammen aus der Sprache der Sinti und Roma.

💬 Und auch alte Wörter wie "Kaschemme", "Kaff" oder "Zaster" sind dem Romanes entsprungen.

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Die Einflüsse in unserer Sprache

Du möchtest noch mehr über Sinti und Roma erfahren? Hier sind offizielle Anlaufstellen

Deutscher Zentralrat für Sinti und Roma

Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma

"European Roma Institute for Arts and Culture", kurz ERIAC

Gesellschaft für Antiziganismusforschung

RomaTrial e.V.: Verein zur Förderung von außerschulischer Bildungs- und Kulturarbeit

Galileo

Mein Leben als Sinti und Roma

Dürfen Rumänen und Bulgaren künftige ohne Grenzkontrolle nach Deutschland einreisen? Oder besteht etwa die Gefahr, dass die "Zigeuner" auf Kosten unseres Staates leben? Galileo hat sich auf Spurensuche gemacht und ist den Klischees über die Sinti und Roma auf den Grund gegangen.

  • Video
  • 08:21 Min
  • Ab 12
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